Übermütige Hasen, fremde Fische und Krähen mit Gesangsambitionen – Picco Kellner schreibt Geschichten, inszeniert sie für die Bühne, formt Hörspiele, Musikstücke und Videos und nimmt sich auch schon mal ein Stück Weltliteratur vor. Sein neuester Streich heißt „Don Q“ und begibt sich auf die Spuren jenes weltberühmten Herrn von la Mancha und ist für Kinder wie Erwachsene gleichermaßen zu erleben.

Wie man das alles unter einen Hut bringt und warum einem Wut kreativ werden lässt, verriet der vielseitige Künstler der Kulturfüchsin im Interview.

Du warst mit dem „Theater Trittbrettl“, das 1981 gegründet wurde so etwas wie die Speerspitze der österreichischen Kindertheaterszene. Könntest Du vielleicht etwas über diese Anfänge erzählen? Wie hat sich die Szene entwickelt? Wie habt ihr damals gearbeitet?

Ich würde mich nicht als Speerspitze bezeichnen. Ich komme eigentlich von der Musik her – und da eher von der Straßenmusik – habe aber immer schon versucht Musikalisches mit Literarischem zu verbinden. Meine Interessen haben sich erst massiv in Richtung Kinderkultur geändert als ich selbst Kinder bekommen habe. In den 80er Jahren hat sich in diesem Bereich sehr viel getan – auch in den Ämtern. Alle haben um Wahrnehmung gekämpft und darum endlich ernst genommen zu werden. Als sich die Kindertheaterszene begonnen hat zu organisieren habe ich mich allerdings ziemlich herausgehalten. Die Szene war damals viel zu zerstritten, zu inhomogen. Ich war zu jener Zeit an der Urania, beim Kasperltheater. Das war für viele sowieso nicht ernst zu nehmen. Der Brossmann (Heini Brossmann, Mitbegründer vom Trittbrettl, Red.) ist damals auf mich zugekommen und hat mir erzählt, dass er ein Programm mit dem Kasperl macht und mich gefragt, ob ich mitmachen möchte. Das war nicht so ein Deppenkasperl, sondern eine stark gesellschaftspolitisch ausgelegte Kasperliade für Erwachsene. Damals haben wir uns auch verstärkt damit auseinanderzusetzen begonnen, was man mit Handpuppen noch alles machen kann. Vor allem im Osten waren sie zu jener Zeit in diesem Bereich wesentlich weiter als bei uns. Dort wurde Theater mit 50 bis 60 Leuten gemacht. Wir sind hingefahren und haben gelernt.

Du bist in Folge auch viel international aufgetreten – ihr seid unter anderem bis nach Taiwan und China gekommen. Kannst Du darüber etwas mehr erzählen? Wie kam es zur Gründung des Theatro Piccolo“?

Nach Taiwan wurden wir eingeladen, weil die Leute dort interessiert waren, wie man das anstellt, dass man, so wie wir, auch zu ZWEIT, überleben kann. Weil das bedeutet ja, dass du lernen musst, auf all das Personal rundum zu verzichten. Die Theater hatten damals nach den Grenzöffnungen mit massiven Kürzungen zu kämpfen. Wir haben gespielt und inszeniert und Kontakte geknüpft, die zum Teil bis heute halten. Damals haben wir mit Puppen gearbeitet und gleichzeitig Kindertheater gemacht mit bis zu 200 bis 250 Vorstellungen im Jahr. Damit war dann für mich nach neun Jahren Schluss. Ich hatte das Gefühl, ich komme da nicht so weiter, wie ich das erwartet hatte. 1994 bin ich dann beim Trittbrettl ausgestiegen. Das „Theatro Piccolo“ habe ich zuerst als Vehikel gebraucht, um literarische Texte, Musik und Eigenkompositionen zu präsentieren. Irgendwann hat sich aus all dem dann das erste Kindertheaterstück entwickelt. Das war damals die Geschichte der Krähe Piccolino, die auszog, um Singen zu lernen. Damit sind wir, der Robby Lederer und ich, fünf Jahre durch die Gegend gezogen. Entstanden ist das aus einer Bettgeschichte, die ich meinen Kindern in Etappen erzählt habe. Jeden Abend ein kleines Abenteuer. Die Krähe ist auch eine Metapher für mich. Viel mehr als Gelächter erntet man zunächst nicht, wenn man im Waldviertel verkündet: So, ich werde jetzt mal Schriftsteller. Oder nein, Musiker oder Schauspieler – Künstler eben.

Heute steckt das „Picco“ Deines (Künstler-)Namens als Marke nicht nur in der Krähe oder dem Theater, mittlerweile gibt es mit Piccolos LeseStoff“ auch einen Verlag, den Du gemeinsam mit Eva Billisich gegründet hast. Wie kam es zur Zusammenarbeit und warum habt ihr euch zur Verlagsgründung entschlossen?

Ich wusste damals, 1994 war es, dass Eva Billisich gerne auch etwas mit Kinderkultur machen wollte, habe mich aber nicht getraut zu fragen. Sie war ja damals im Film „Muttertag“ quasi ein österreichischer Superstar. Zumindest für mich. Durch Zufall hat es sich ergeben, dass eine Schauspielerin, mit der wir zusammengearbeitet haben, in ihrer Schwangerschaft bestimmte Sachen nicht mehr machen durfte und wir uns nach einem Ersatz umsehen mussten. Sie hat uns dann vorgeschlagen, Eva Billisich zu fragen. Da musste ich mich dann trauen. So hat es sich ergeben, dass wir begonnen haben, gemeinsam auch Stücke zu schreiben und zu inszenieren. „Charlotte Ringlotte“ haben wir zum Beispiel bis heute im Spielplan. Dazu muss ich aber auch sagen, dass die Charlotte, um die es im Theaterstück geht, eben genau das (reale) Kind jener Schauspielerin ist, die wegen Schwangerschaft damals absagen musste. Dazu gibt es auch ein Buch und eine Hörspiel-CD und das Stück wurde auch mit dem Deutschen Schallplattenpreis ausgezeichnet. Der Verlag bietet uns vor allem die Möglichkeit unsere eigenen Produkte zu verkaufen. In sehr bescheidenem Ausmaß muss man dazu sagen. Gleichzeitig funktioniert es aber gut als Werbung, wenn man den Leuten etwas vorzeigen kann. Hinzu kommt natürlich, dass es in Österreich keine wirkliche Verlagslandschaft mehr gibt. Da hat sich in den letzten Jahren vieles aufgelöst – auch im Bereich Kinderliteratur. Es gibt diese großen Kirchenverlagshäuser. Da wird es allerdings mit manchen Themen eng, wenn ich zum Beispiel über Sexualität schreiben möchte. Viele gehen nach Deutschland. Die haben allerdings doch eine andere Sprache. Vor allem wenn man zum Beispiel mit Dialekt arbeitet, wird das schwer. Wir haben uns bei Liedern schon öfters die Frage gestellt, inwieweit wir synchronisieren sollen.

Du oder besser ihr arbeitet generell sehr interdisziplinär. Du hast schon erwähnt, es gibt zum Theaterstück oft ein Hörspiel und/oder ein Buch – in den Stücken gibt es Lieder, die man auf Youtube“ nachhören kann. Wie läuft das alles zusammen und formt sich? Woher beziehst Du deine Inspiration?

Für mich ist es wichtig kein poetisches Machwerk hinzustellen, das mich erbaut. Wenn ich Stücke schreibe, habe ich zunächst eine große Aufregung in mir, manchmal auch Wut auf Ungerechtigkeit, Dummheit und Ignoranz. Die Frage ist, wie verpacke ich das, dass es ankommt, dass es angenommen wird. Oft hat man auch eine Geschichte im Kopf, die dann nach Jahren wieder kommt. Man hört eine Diskussion, wo irgendjemand einen Blödsinn sagt, wird wütend und irgendwann entsteht dann daraus eine Geschichte. In den letzten zehn Jahren habe ich mich immer wieder mit Afrika beschäftigt. Da gibt es viele Themen – von Kindersoldaten bis zum Wasser. Bei letzterem hatte ich ein Interview mit dem Chef von Nestlé gehört, der meinte Wasser sei kein Lebensmittel. Gleichzeitig hatte ich diese Geschichte im Kopf, die mir ein Freund aus Afrika erzählt hat, die davon handelt, dass ein Staudamm am Sambesi drei Mal geborsten ist, weil der Geist des Wassers, Amanzi, sich nicht teilen lässt. Man redet viel darüber und irgendwann schreibt man. Ich wollte zum Beispiel 30 Jahre lang etwas über Don Quijote schreiben und jetzt hat es sich endlich ergeben. Im Stück gibt es auch wieder viel Musik, diesmal mit 10köpfiger Band – der Gomera Street Band – natürlich denkt man die CD dann irgendwie gleich mit.

Das Stück „Don Q“ hat im April Premiere und ist für Erwachsene und Kinder gleichermaßen. Wie schafft man da den Bogen, dass alle etwas davon haben?

Wir erarbeiten prinzipiell unsere Stücke auf verschiedenen Niveaus. Für Kinder, die das intellektuell noch nicht verstehen können – die muss man mit dem Herzen packen. Ältere kann man schon auch auf einem anderen Niveau reizen. Die können durchaus schon Metaphern verstehen. Für die Erwachsenen kann sich dadurch eine besondere Zweideutigkeit ergeben. Wir haben zum Beispiel für „Ananas Bananas“ alle Texte aus Reden, Ansprachen und Kommentaren von rechten Politikern gestohlen und sie den dümmlichen Tieren auf dem Bauernhof in den Mund gelegt. Und plötzlich hat man ein Stück über Dummheit und Ignoranz. Für Kinder bleibt das lustig. Für die Erwachsenen kann das tragisch enden.

Würdest Du sagen, es gibt ein Thema, dass sich wie ein roter Faden durch Deine Stücke zieht und welche Rolle spielt der Humor für Dich?

Mich beschäftigt vor allem, wo Dummheit in der Gesellschaft sichtbar wird, die Überheblichkeit, das Großkopferte. Ein großes Thema sind sicherlich immer wieder Vorurteile, und Fremdenhass. Mir ist es wichtig, in den Stücken immer eine gesellschaftspolitische Message zu haben. Mit Humor kann ich die Kinder fesseln und dann zum Poetischen mitnehmen. Wenn ich sehe sie haben große Augen und den Mund offen, dann haben wir sie. Ich muss allerdings unbedingt dazu sagen, wir sehen uns nicht als Bildungsanstalt. Wir konfrontieren Kinder mit Kreativität und Kunst.

In Deinem letzten Buch und Stück „Galoppola“ geht es um Geschwindigkeit und das blinde Zerstören von Dingen. Eine weitere brennende Frage der Zeit: Wie seid ihr auf das Thema gekommen?

2018 waren wir mit unserem Stück „Elefantenmond“ in China auf Tournee und sind dann eingeladen worden aus einer Comicvorlage ein Stück zu inszenieren. Das war uns aber alles viel zu holzhammerartig. Was wir für die Geschichte daraus aufgegriffen haben war dieses Thema der Geschwindigkeit. Das Stück hieß damals „Hopp Pony Galopp“. Es ging um ein Pony, dass so schnell werden will wie ein Rennpferd und dabei allerdings viele Dinge übersieht. Als ich zurückgekommen bin, hat mich das Thema noch immer stark interessiert. Mich hat auch beschäftigt, warum wir unsere Arbeit immer über alles stellen. Warum verschiebt sich die Themenwertigkeit so? Es geht darin auch zu zeigen, wie achtlos wir manchmal mit der Zeit für unsere Lieben, unsere Kinder, umgehen.

Wie ist es derzeit generell um die Kinder- und Jugendkultur in Österreich bestellt? Habt ihr beispielsweise während der Krise Förderung erhalten?

Wir befinden uns in Österreich, was die Förderung angeht, im guten Mittelfeld. In vielen Ländern – von England bis in den neuen Osten – wird weniger gefördert. Die Frage nach der Ernsthaftigkeit ist allerdings eine andere, das hat vor allem die Corona-Krise, wo wir als Kulturszene plötzlich inexistent waren, gezeigt. Während Corona ist ein großer Teil der alternativen Kulturszene weggebrochen, einige Kindertheater mussten aufhören. Wir sind als Gesellschaft organisiert, die sich von Gewinnen ernährt. Wir mussten marginal streiten gehen. Wir haben beim Land Niederösterreich angerufen und gesagt, wir sagen gerade 160 Vorstellungen ab. Da kam sehr schnell Hilfe – später auch vom Bund. Die Frage ist natürlich, wie es weiter geht, wenn die Gemeinden das Geld schon ausgegeben haben und man vermeintlich bei der Kultur als erstes zum Einsparen beginnt. Gerade die Kinder- und die Alternativkultur haben viele Verschlechterungen in den letzten Jahren erfahren. Wir erleben auch, dass man nicht so wahrgenommen wird, wenn man kein eigenes Haus hat und mit dem VW-Bus durch das Land fährt. Aber in Österreich gibt es gesamt eine gute Szene mit vielen Vereinen und Institutionen, die bereit sind einen einzuladen. Diese Vereinsmeierei mit 4.000 Intendanten hat auch ihre gute Seite.

Ihr spielt viel an Schulen. Wie hat sich die Situation da entwickelt?

Diesbezüglich gibt es einen großen Unmut von den zuständigen Behörden Theater mitzufinanzieren. Wir sind von engagierten Direktor*innen in ganz Österreich abhängig, die wissen, was Kultur und Kunst mit Kindern machen kann, was sie auslöst. Es gibt auch Unmut bei den Eltern Geld in die Hand zu nehmen. Wir haben sieben Stücke gleichzeitig im Programm, reden viel mit Direktor*innen oder Kulturbeauftragten, was in der Schule gerade ansteht. Wir arbeiten viel mit Stammpublikum. Na und dann gibt es zumeist die üblichen kleinen Streitigkeiten mit den Schulwarten, die einen beispielsweise erklären, dass man da mit dem Wagen nicht stehen bleiben kann, dass man den Turnsaal keinesfalls mit Schuhen betreten darf etc. Es ist mir auch schon passiert, dass ein Direktor, in einem Gespräch am Telefon sagt: „Kinderl ich habe wirklich Wichtigeres zu tun“. Das Kinderl ist 62 Jahre alt. So etwas passiert. Inzwischen lache ich darüber.

Mittlerweile ist auch Netflix und Co. in unserem Alltag angekommen. Schon Dreijährige spielen im Kindergarten Spiderman und Co. Ist es schwierig dagegen anzukommen – vor allem, wenn sich die Produkte mittlerweile von der Serie, über die Spielfigur bis zum Lesebuch und zur Badehose erstrecken?

Das Problem, das ich bei diesen Supermarketing sehe, ist, dass sich da vielfach alles um eine Luftblase dreht. Ich habe dieses „Disney-Luftblasen-Problem“ speziell bei Produktionen in China erlebt. Hier und dort gibt es Produktionen, die sind wunderschön zum Anschauen, bunt, laut, sehr aufwendig gemacht, aber am Ende fragt man sich, worum ist es da eigentlich gegangen. Aber auch wenn ich mir den ORF anschaue, frage ich mich, warum der Brezina so ein Monopol hat. Wo ist das österreichische Kindertheater dort? Warum existiert das da nicht? Zudem gibt es das Problem, dass sie bestimmte Filme einkaufen wollen und diese nur bekommen, wenn sie Pakete nehmen. Diesen mitgekauften Mist sieht man dann so lange bis man sich daran gewöhnt hat. Gegen Netflix und Co. ist schwer anzukommen, da kann man es durchaus schon mal mit der Angst bekommen. Naja, David gegen Goliath.

Zur Person:
Christian „Picco" Kellner ist Autor von bislang 30 Theaterstücken, schreibt Lyrik und Prosa für Erwachsene, verfasst und illustriert Kinderbücher. Als Schau- und Puppenspieler arbeitete er am Urania Puppentheater, mit dem Dschungel Wien und dem Kabarett Trittbrettl, dem “Song Song Song Theatre” Taiwan, dem Little Orange Castle Theater fast überall in China und seit 12 Jahren gemeinsam mit dem Theater IyASA Zimbabwe in Afrika und Österreich. Er wirkte u.a. in einigen österreichischen Filmen mit, arbeitet zudem als Musiker in diversen Bands (One World Projekt, No Chicken in the Bus, Gomera Street Band) und komponiert.

Stücke:
DON Q
oder: Quijote rettet die Welt?
Frei nach Miguel de Cervantes.
Ein Figuren-, Musik- & Straßenspektakel für drinnen & draußen
Premiere: 24.04.2022 um 14:30 Bühne im Hof, Linzer Straße 18, 3100 St. Pölten

Galoppola
23. bis 24. 05.2022 Theater Forum Schwechat, Ehrenbrunngasse 24, 2320 Schwechat
12.06.2022 Kulturwerkstatt Schloß Kottingbrunn, Schloß 1, 2542 Kottingbrunn

ANANAS BANANAS
ein Stück über Vorurteile und den Umgang mit dem Fremden, mit Esprit und Augenzwinkern in Szene gesetzt. Für Kinder ab 4.
20.04.2022 um 16:00 Schloss Hunyadi, Schloßgasse 6, 2344 Maria Enzersdorf

Nähere Info unter: www.theatropiccolo.at

Buchtipps:
Ch. Picco Kellner: Galoppala. Illustrator*in: Ch. Picco Kellner.
Altersempfehlung: Vorlesebuch ab 4, Selberlesen ab 7
ISBN: 978-3-9504975-6-4

Ch. Picco Kellner: Ananas Bananas. Illustrator*in: Ch. Picco Kellner. Verlag: Piccolos LeseStoff. Altersempfehlung: Vorlesebuch ab 5, Selberlesen ab 7
ISBN: 978-3-9504982-0-2

Charlotte Ringlotte: Autorin: Eva Billisich. Illustratorin: Ch. Picco Kellner. Verlag: Piccolos LeseStoff
Altersempfehlung: Vorlesebuch ab 4, Selberlesen ab 7
ISBN: 978-3-9504975-0-2

Ch. Picco Kellner: Piccolino. Illustrator*in: Ch. Picco Kellner. Verlag: Piccolos LeseStoff. Altersempfehlung: Vorlesebuch ab 4, Selberlesen ab 7
ISBN: 978-3-9504975-4-0

Mehr unter: www.piccolos-lesestoff.com

Titelbild: Sujet zu Galoppala © Theatro Piccolo

Geschrieben von Sandra Schäfer